Die heutige Arbeitswelt zeichnet sich durch eine große Vielfalt von Arbeitsformen aus. Eines dieser Formen bildet das sogenannten Crowdworking. Unternehmer lassen hierbei meist kleinteilige Aufgaben von unbekannten Personen ausführen, die sich auf einer Plattform registrieren. Die Crowdworking-Plattform bietet den Nutzer zu erledigende Aufgaben an, welche angenommen werden, um nach Ausführung des Auftrags einen Geldbetrag gutgeschrieben zu bekommen. Während vor fast einem Jahr das LAG München die Crowdworker nicht als Arbeitnehmer klassifizierte, sprach das BAG vor einigen Wochen diesen eine mögliche Arbeitnehmereigenschaft zu.
– BAG, Urt. v. 01.12.2020, Az.: 9 AZR 102/20
Die dem Urteil des BAG zugrundeliegende Fallkonstellation
Seit Anfang 2017 war ein rund 50-Jähriger Mann als Crowdworker auf einer Internetplattform tätig. Zwischen beiden Parteien bestand eine Basisvereinbarung nebst ergänzenden allgemeinen Geschäftsbedingungen. So erhielt der Mann Zugang zu den auf der Plattform angebotenen Aufträgen, welche er annehmen und für die er sich mittels App bewerben konnte. Die App enthielt ferner ein Belohnungssystem, das regelmäßig Aufträge annehmenden Crowdworkern Erfahrungspunkte und einen damit einhergehenden Zugang zu besseren Aufträgen versprach. In diesem System arbeitete der Mann durchschnittlich 20 Stunden in der Woche und erzielte als Selbstständiger einen monatlichen Durchschnittsverdienst von knapp 1.800 Euro. Der Verdienst wurde auf einem virtuellen Konto gutgeschrieben und später ausgezahlt.
Die Plattform vermittelte ferner die Aufträge von verschiedensten Kunden weiter, schloss die Einzelaufträge hingegen mit den Crowdworkern im eigenen Namen ab, sodass eine vertragliche Beziehung allein zwischen dem Crowdworker und der Plattform bestand.
Nachdem es zu Unstimmigkeiten über die ordnungsgemäße Erledigung von Aufgaben und deren Vergütung gekommen war, teilte der Plattformbetreiber dem später klagenden Crowdworker Anfang April 2018 mit, dass man ihm weder weitere Aufträge anbieten, noch sein Guthaben auszahlen werde. Ferner solle sein Account deaktiviert und gelöscht werden.
Daraufhin erhob der Crowdworker im Juli 2018 Kündigungsschutzklage und begehrte die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611a BGB zur Plattform vorliege. Nach seinem subjektiven Empfinden habe für ihn eine Pflicht zur Übernahme von Aufträgen bestanden, da er nur so im Belohnungssystem aufsteigen konnte. Dadurch habe sich bei ihm ein motivationspsychologisch zu erklärender menschlicher Spieltrieb ausgelöst, welchen die Internetplattform ausgenutzt haben soll. Ferner sei er durch die App betrieblich eingebunden gewesen, sodass eine Gesamtbetrachtung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses spreche.
Urteil der Vorinstanzen: Kein Arbeitsvertrag
Das LAG München teilte in seinem Urteil die Ansicht des Klägers nicht und erklärte, dass ein Vertrag, welches keine direkte Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründe, kein Arbeitsvertrag sein könne (Urt. v. 4.12.2019, Az. 8 Sa 146/19). Es fehle an der rechtlich notwendigen persönlichen Abhängigkeit und der Weisungsgebundenheit. Auch könne ein Arbeitsverhältnis nicht dadurch begründet werden, dass ein Crowdworker per Mausklick einen Auftrag zur Bearbeitung annimmt und mit der Internetplattform jeweils ein auf den Ablauf des zur Verfügung stehenden Zeitfensters befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart, welches mangels Wahrung der in § 14 Abs. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verlangten Schriftform nach § 16 TzBfG als auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis anzusehen sei.
Der Kläger legte daraufhin Revision zum BAG ein.
Urteil des BAG: Crowdworker können Arbeitnehmer sein
Das BAG entschied im Sinne des Klägers und klassifizierte den Crowdworker als Arbeitnehmer. Der Kläger habe in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Zwar habe keine Verpflichtung zur Annahme von Angeboten der Internetplattform bestanden, doch sei die Struktur des Portals darauf ausgerichtet gewesen, dass eingearbeitete Nutzer kontinuierlich und einfacher vertraglich vorgegebene Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen.
Dennoch war der Crowdworker mit seiner Klage nicht ganz erfolgreich, weil die Plattform die Kündigung ausgesprochen hatte. Als der Crowdworker über die Plattform vermittelte Aufträge abgearbeitet hatte, war er für diese Zeit nach Auffassung der Erfurter Arbeitsrichter als Arbeitnehmer mit den entsprechenden Rechten und Pflichten zu qualifizieren. Hinsichtlich der geltend gemachten Vergütungsansprüche verwies das BAG die Sache an die Vorinstanz zurück, nachdem es diese Grundsatzfrage entschieden hatte.